Hätte die Südtiroler Küche eine mikroskopische Struktur, würde diese wohl aus drei Lagen bestehen, die sich im Lauf der Geschichte übereinandergelegt haben. Da ist als unterste und älteste die bergbäuerliche Tradition, die der Küche ein solides Fundament verschafft. Sie mag es ebenso bodenständig wie herzhaft, schließlich war die Arbeit am Hof hart, das Klima in den Bergen rau – da konnte man alle Energie aus dem Essen gut gebrauchen. Im Lauf der fast 500-jährigen Zugehörigkeit Tirols zum Hause Habsburg legte sich eine altösterreichische, wienerisch angehauchte Lage über das bäuerliche Fundament. Und schließlich saugte die Südtiroler Küche auch noch das mediterrane Element italienischer Küche in sich auf, zunächst von den Händlern, die vom Süden nach Tirol kamen. Danach waren es die italienischen Mitbürger, die diese dritte Lage kultivierten.
So verwundert es nicht, dass man in der Speisenfolge auf alles trifft, nur nicht auf Langeweile und Eintönigkeit. Vorspeisen etwa werden in Südtirol von zwei Platzhirschen dominiert. Der erste sind die mit diesem Land so innig verbundenen Knödel, die zwar alle rund sind, sonst aber eine unglaubliche Bandbreite aufweisen: von Speck-, Käse-, Spinat-, Pilz- und Leberknödel über Brennnessel-, Kräuter- und Rohnenknödel bis zu Schwarzplentenen, also Buchweizenknödel – und damit nennen wir nur ein paar. Platzhirsch Nummer zwei ist die Pasta in allen Varianten. Dazu stehen meist ein Risotto oder Gnocchi auf der Speisekarte, und die Schlutzkrapfen als typisch Tiroler Vorspeise fehlen auch nur selten.
Hauptgerichte locken mit Mediterranem (von der Rinds-Tagliata bis zu Fisch aller Art) wie mit Bergbäuerlichem. Vom Schwein zum Beispiel gibt es nichts, was es nicht gibt: frisch, gekocht, geselcht (geräuchert) oder gepökelt, als Brüh- oder Hartwurst und nicht zuletzt als Speck. Um den zu verstehen, muss man wissen, dass zwischen dem romanischen und dem germanischen Kulturraum eine ganz besondere Grenze durch die Küche verläuft – wie nämlich macht man Fleich haltbar? Im Süden wird es luftgetrocknet, im Norden dagegen gepökelt und geräuchert. Der Speck als typischer Südtiroler hat seine Schwarte in beiden Welten, er wird also gepökelt, geräuchert und an der Luft getrocknet. Außerdem fehlt er in keinem Gasthaus – meist in Form eines Speck- und Käsetellers zur Jause oder auf gut Südtirolerisch: Marende. Wer dagegen weniger auf Schwein steht, wird in den Berg- und Landgasthäusern fündig, denn dort wird auch schon einmal Schöpsernes serviert, geschmorter Hammel- oder Lammbraten also.
Durchaus italienisch angehaucht – tiramisù, panna cotta und Konsorten – sind die Süßspeisen. Sehr viel mehr aber tragen sie den Stempel der k.u.k.-Zeit: Marillen- und Zwetschgenknödel, Apfelstrudel, Kaiserschmarren, daneben eine Schwarzplentene Torte mit Preiselbeeren und natürlich Festtagskrapfen, die nicht nur von Tal zu Tal, sondern sogar von Dorf zu Dorf anders gemacht werden. Und selbstverständlich sind die des eigenen immer noch die besten. Weltweit. Für all jene, in deren Ohren die Südtiroler Küche nach Rucksack und Bergschuhen klingt, gibt es gute Nachrichten: Vor allem die junge Küche im Land ist experimentierfreudig, avantgardistisch und – exzellent! Südtirol hat auf die Einwohnerzahl gerechnet die größte Restaurant-Sterne-Dichte Italiens und für all jene, die’s weniger Etepetete lieben, wird auch Soulfood serviert: Top-Steaks, Burger und Pizzas etwa, deren Palette von der konservativen Margherita bis zur progressiven Shiitake-Version reicht.
Hinuntergespült wird das Ganze mit allem, was das Land zu bieten hat – und das sind vor allem hervorragende Weine. Voraussetzung dafür sind das alpin-mediterrane Klima und die Lagen der Weinberge, die von 200 m im Etschtal bis zu 1000 m an sonnigen Hängen reichen, wo die Weißen ihr Bestes geben. In heißen Tallagen fühlen sich die kräftigen Roten wohl, besonders die bodenständigen Sorten Lagrein und Vernatsch. Letzterer bildet das Fundament zahlreicher Weine, darunter auch des Kalterersees – einst als flüssiger Kopfschmerz verschrien, heute ein gesuchter Wein.
Beim Aperitif liebt man es italienisch, da dominieren „Veneziano“ und „Aperol Spritz“, denen allerdings der „Hugo“ den Rang abzulaufen droht – eine Mischung aus Prosecco, Mineralwasser, Zitrone, Eis, Minze und Holundersirup. In Sachen Bier gibt in Südtirol eine Brauerei den Ton an. In den letzten Jahren sind aber immer mehr kleine, handwerkliche Brauer auf den Plan getreten, die dem weltweiten Craft-Beer-Trend folgen. Und redliches Handwerk ist auch beim Hochprozentigen ein Thema: Fast in jeder Hütte, in jedem Gasthof gibt’s ganz eigene Varianten von Grappa (oder Treber), Likören und Schnäpsen mit Alpenkräutern und Obst.
Was die Essenszeiten betrifft, werden alle glücklich – diejenigen, die früh essen wollen, aber auch die, die’s mediterran mögen, also so spät wie möglich. So kriegt man fast überall von 12 bis 14 Uhr und von 19 bis 21 Uhr etwas Warmes, in Tourismushochburgen ohnehin rund um die Uhr. Große Trinkgelder sind nicht üblich, aufrunden kann man den Rechnungsbetrag aber natürlich gern.
Mit Spinat gefüllte Teigtaschen, mit Parmesan bestreut und mit brauner Butter übergossen
Suppe aus Gerste, Gemüse und Fleisch
In Schmalz ausgebackene Teigtaschen gefüllt mit Spinat, Quark oder Sauerkraut
Gekochte Klöße, auch als Beilage zu Braten, Suppen oder Salat
Frische Schweinswurst, dazu Sauerkraut
Geschmorter Lamm- oder Hammelbraten mit intensivem Eigengeschmack
Käse praktisch ohne Fett, mit rohen Zwiebeln, Essig, Pfeffer und Öl angerichtet (vor allem im Tauferer Ahrntal)
Leicht geräucherte, harte Rohwurst
In Öl gebackene Teigflecken, werden mit Marmelade, Mohn oder Anis gefüllt serviert
Goldgelb gebackene, schneckenförmige Süßspeise
Kaiserschmarren aus Buchweizenmehl mit Apfelstücken
Prosecco, Aperol, Mineralwasser, Orangenscheibe
Südtiroler Rotwein
Intensiver Sirup für den Sommer aus Holunderblüten und Zitrone