Klar: Wer früher tagsüber auf den Feldern schuftete oder von frühmorgens an auf See Fischernetze einholte, der erwartete danach etwas Handfestes auf dem Tisch, und davon möglichst viel. Fisch, Speck, Kartoffeln, Kohl und Schnaps galten lange Zeit als Hauptnahrungsmittel, und nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Wenn rügensche Küchenchefs heute für ihre Gäste zaubern, dann haben sie dieses Erbe im Hinterkopf und kreieren aus den Gerichten in Omas Kochbuch höchst moderne Gerichte, die selbst Feinschmecker beeindrucken. Das Gleiche gilt für die Portionsgrößen. Eine Angst muss auf Rügen jedenfalls keiner haben: hungrig nach Hause zu gehen.
Die einfachsten Gerichte sind oft die besten, Hauptsache, die Zutaten kommen von hier. Mit gebratenem Fisch von der Tageskarte, Bratkartoffeln und Gemüse der Saison kannst du nichts falsch machen. Das liegt an der Qualität der Zutaten: Tüffeln oder Tüften (so heißen in Pommern die Kartoffeln) werden in Poseritz im Süden der Insel geerntet, Kirschen, Pflaumen und Äpfel nicht weit entfernt in Altkamp, Spargel und andere Gemüse u. a. im Westen vor Ummanz. In Putbus widmen die Restaurants dem dort gesammelten Bärlauch im April und Mai gleich mehrere Festwochen. Und auch im Supermarkt gibt es ein klares Erkennungszeichen: Wo „Regionale Esskultur“ draufsteht, ist 100 Prozent Rügen drin.
Immer noch fahren jeden Tag Fischer aus, um im Bodden und der Ostsee unser Essen einzuholen. Dass dieser Fisch etwas teurer ist als tiefgekühlter Seelachs einer anonymen Handelsflotte im Atlantik, versteht sich. Im Gegenzug erlebst du, wie fantastisch wirklich frischer Fisch schmeckt. Mit der tiefgefrorenen Industrieware hat das nichts gemein. Fangfrisch, das heißt aber auch: Man muss sich nach dem richten, was der Fischer gerade fangen kann.
Wenn Anfang Mai der im Mittelmeer und Atlantik lebende Hornfisch zum Laichen seinen Rügenurlaub antritt, ist das auf der Insel ein Grund zum Feiern. Dann angeln alle, die eine Rute besitzen, und die Kutterfischer sowieso. Nicht wundern, die Gräten des Hornfischs sind grün – das ist ungewöhnlich, sollte aber niemanden stören. Denn der Hornfisch schmeckt! Der bis zu 1 m lange Fisch wurde in der DDR auch als „Arbeiteraal“ verkauft. Die echten Aale exportierte die DDR geräuchert in den Westen, gegen Devisen.
Grüner Hering dagegen ist nicht grün, sondern einfach nur jung (sozusagen noch grün hinter den nicht vorhandenen Ohren). Wenn die Heringsschwärme kamen, musste früher sogar Gott ein Einsehen haben: In Vitt soll der verschmitzte Inselpfarrer Ludwig Kosegarten den Ort für die hübsche Kapelle so gewählt haben, dass die Gemeinde Meerblick genoss. Und wenn die Ostsee silbern blitzte, weil ein Heringsschwarm auftauchte, wurde der Gottesdienst abrupt beendet.
Auch Dorsch, Zander, Hecht, Flunder und Aal holen Rügens Fischer aus Bodden und Ostsee. Unbedingt auch probieren: eingelegten Hering oder Räucherfisch, oft wird er am Ort des Verzehrs frisch aus dem Ofen geholt. Noch warm, in einem knackigen Brötchen, gibt es nichts Besseres. Leicht haben die Fischer es übrigens nicht, deshalb haben sie sich auf Hiddensee zusammengeschlossen und vermarkten ihren Fang als „Hiddenseer Kutterfisch“ selbst!
Auch das Fleisch ist exzellent, jedenfalls wenn es von Rügen kommt. Da sind die Schnucken und Rinder, die auf den Salzwiesen der kleinen Insel Öhe vor Schaprode weiden und eine ganz besondere Geschmacksnote haben. Auch sonst macht man mit Lammfleisch von der Insel nichts verkehrt. Und das der Wasserbüffel, die ihr Leben in der Schmalen Heide verbringen, schmeckt hervorragend. Die Inselmitte ist zudem berühmt für ihre Gänse und Enten. Was nicht frisch gegessen wird, wird haltbar gemacht: nach pommerscher Tradition vor allem zu Leberwurst, Sülzwurst und Schmalzfleisch im Glas, aber inzwischen auch zu Räucherenden und Dauerwürsten, natürlich auf der Insel.
Bei so viel Fleisch und Fisch geht fast unter, dass in rügenschen Küchen auch viel mit Gemüse gekocht wird – gerne in Kombination mit den schon genannten Tüften. In den Hofläden der Insel (Überblick gefällig? ruegenprodukte.de) bekommt man alles, was gerade reif ist. Im Herbst ist Kohlzeit. Dann beweisen Köche überall auf Rügen, wie vielfältig und genial sie Grünund anderen Kohl zubereiten können. Vegetarisch und vegan sind übrigens auf der Insel keine Fremdworte mehr, in den größeren (Bade-)Orten werden nicht nur alle satt, sondern auch mit der einen oder anderen veganen Eigenkreation überrascht.
Liebster Nachtisch ist rote Grütze, Beeren gibt es auf Rügen jede Menge. Auf den Obsthöfen werden zudem gerade Beeren oft zu Marmeladen und Konfitüren eingemacht, gerne mit Sanddorn dazu, der einen Schuss Saures ins Süße gibt. Tatsächlich ist Sanddorn als Zutat keine Erfindung für die Touristen, sondern findet sich in vielen Gerichten. Apropos süß-sauer: Das gehört zur Küchentradition im Nordosten. Die Mischung von süß und herzhaft ist typisch, so werden Äpfel und Birnen oftmals mit Speck oder Blutwurst gekocht. Süß und aromatisch ist dagegen der Honig, den die Inselimker überall auf Rügen anbieten – auf gelbe Schilder an den Häusern achten!
Bleibt als flüssige Tradition noch der Schnaps: Nach dem Essen wird gern ein Korn oder ein Obstbrand (auch den gibt’s von der Insel) getrunken – wenn es sehr kalt ist, auch mal zwei. Oder man bestellt gleich einen Grog, wenn es ums Aufwärmen geht. Zum Essen trinken Rügener selten Wein, eher Bier. Das wird auf Rügen und in Stralsund in unzähligen Variationen gebraut.
rote Suppe mit Gemüse, Wurst oder Fleisch, sauren Gurken und einem Löffel Schmand
in Pfeffer, Zimt, Nelken, Salz und Zucker eingelegte Heringsfilets nach pommerscher Art auf Schwarzbrot
Stampfkartoffeln, Äpfel und Speck (oder Blutwurst)
Spezialität mit grünen Gräten, besucht Rügens Teller nur im Mai
Schweinefleisch in Gewürzsud gekocht und in Aspik kalt serviert mit Bratkartoffeln
mit Pflaumen gefüllt und lange geschmort, dazu Stampfkartoffeln
Beeren aller Art, eingekocht und mit Vanillesauce verfeinert
Rührkuchen mit beim Backen versunkenen Obststücken
italienisches Sahnedessert mit lokaler Sauce
pur oder mit Sprudel gestreckt als Limoersatz
Bierspezialitäten aus der lokalen Brauerei
aus Rügener Destillerien