Schlemmen ist an der Loire und in ihren Seitentälern immer noch ein Lieblingsvergnügen von Rabelais’ Nachfahren. Allerdings sind die Portionen heute nicht mehr so üppig und werden aus Respekt vor Alkoholkontrollen die Gläser lange nicht mehr so oft nachgeschenkt. Die alten Rezepte aber werden überall wieder rausgekramt. Wie zum Beispiel das Haselhuhn (géline de Touraine), das wegen seiner Faulheit – es legt nicht gerne Eier – fast von den Speisekarten verschwunden war. Rabelais muss das feste, wildähnliche Fleisch dieses Hühnchens genauso gekannt haben wie die Spezialität an Sarthe und Loir, die rillettes. Natürlich soll der Salat mit den lauwarmen Fleischstücken mit Weinessig aus Orléans angemacht sein – oder auch mit Nussöl (huile de noix). Weiter im Westen, im Anjou, werden heute wieder Fische wie anguille (Aal) und lamproie (Neunauge) gefischt, und – die Reben wachsen ja vor der Haustür – in Rotwein aus Chinon, Bourgueil oder Saumur-Champigny gekocht.
Ein so richtig typisches Gericht, das ausschließlich an der Loire gegessen wird, gibt es nicht. Regionale Unterschiede aber durchaus. Die Sologne steht mit ihren Wäldern wie zu des Dichters Zeiten für Wild, wie lièvre (Hase), chevreuil (Reh), sanglier (Wildschwein) oder cerf (Hirsch), das im Herbst mit Pilzen wie cèpe (Steinpilz) oder girolles (Pfifferlinge) serviert wird. 3000 Teiche rund um Romorantin sorgen für Nachschub bei Süßwasserfischen wie sandre (Zander), brochet (Hecht) oder carpe (Karpfen). Romorantin ist zudem für seine Erdbeer- und Spargelproduktion bekannt.
Ein Glück, dass das Missgeschick der Schwestern Tatin als Rezept für ein köstliches, aber kalorienschweres Dessert, die tarte Tatin, überlebt hat: Den beiden Damen war im 19. Jh. in der Sologne aus Versehen der Apfelkuchen mit der Fruchtseite nach unten in den heißen Backofen gerutscht. Seitdem ist die Süßigkeit zum Klassiker avanciert und wird immer „gestürzt“ gebacken.
Vor dem Nachtisch ist erst einmal Käse angesagt. Zwar gibt es im Städtchen Sancerre keine einzige Ziege, aber rings um den Weinbauhügel sorgen die Herden für die Milch, aus der nach alten Rezepten der crottin de Chavignol hergestellt wird, einer der fünf Ziegenkäse der Region, die mit der Herkunftsbezeichnung AOC (Appellation d’Origine Contrôlée) geadelt sind. Achtung, beim Käseschneiden in Gesellschaft von Franzosen ist Vorsicht geboten! Runde Käsesorten werden nie in Scheiben, sondern immer von der Mitte nach außen, wie eine Torte, geschnitten, damit alle etwas vom weichen Herzen des Käses abbekommen. Im Internet gibt es zig Anleitungen, google einfach mal „couper le fromage“!
„Das ist der beste Wein, den ich je getrunken habe“, schwärmte schon Henri IV: „Wenn ihn jeder im Königreich kosten könnte, gäbe es bald keine Religionskriege mehr.“ Der König sprach vom Rotwein aus Sancerre, der aber nach der Reblauskatastrophe im 19. Jh. fast völlig vom Weißwein verdrängt wurde. Heute setzen anspruchsvolle Winzer in den gut 40 registrierten Appellationsgebieten wieder auf alte Rebsorten und traditionelle Anbautechniken. Weinbauern wie Nicolas Joly arbeiten seit mehreren Jahrzehnten mit Biotrauben und beweisen mit Spitzenlagen wie der Coulée de Serrant in Savennières, dass Natur und hohe Qualität ein Paar sind. Gekeltert wird der weiße Tropfen, der ewig lange gelagert werden kann, aus der weißen Chenin-Traube. „Ein Wein wie Taft“, urteilte Rabelais, der natürlich auch die weichen, vollen moelleux-Weine schätzte, die am Layon aus süßen, edelfaulen Chenin- Trauben hergestellt werden. Beste Lagen sind Bonnezeaux und Quarts-de- Chaume. Weiße Jahrhundertweine aus Chenin gibt es aber auch am Loir-Fluss, im Weinbaugebiet Jasnières, das wie viele andere seinen Ruf mit Überproduktionen fast ruiniert hatte. Jetzt kehren Winzer zu ihren Wurzeln zurück und produzieren auf kleinen Parzellen große Weine. Für Sekt, der nach derselben Methode wie in der Champagne gekeltert wird, aber den Namen nicht tragen darf, sind die klassischen Häuser wie Ackerman oder Bouvet-Ladubay weiter die besten Adressen.
2010 wurde die französische Küche als immaterielles Kulturgut anerkannt. Gutes Essen und gute Weine kosten deswegen aber nicht zwingend die Welt. Das Tagesmenü (menu du jour) muss nicht die klassischen drei Gänge haben. Immer öfter gibt es zum Mittagessen (déjeuner) die Kombination Vorspeise (entrée) und Tagesgericht (plat du jour) oder Hauptgericht (plat principal) und Nachtisch (dessert). Selbst das Abendessen (dîner) muss auch in Feinschmeckerrestaurants nicht unbedingt in Völlerei à la Rabelais ausarten. Wer auf Käse oder Kuchen verzichtet, wird schon lange nicht mehr schief angesehen. In Frankreich wird zumeist mittags als auch abends warm gegessen. Eine Ausnahme: Das apéro dînatoire, bei dem zum geselligen Aperitif mehr oder weniger elaborierte Snacks serviert werden.
Schweinebrustaufstrich
Schweinebruststücke in Gemüsebrühe mit Kräutern geschmort, lauwarm mit Salaten serviert
Riesenchampignons mit Gemüse oder Hackfleisch gefüllt
Pastete mit Ei
Neunauge in Rotweinsoße
knusprige Teigtaschen gefüllt mit rillettes, Gemüse, Pilzen oder Ziegenkäse
gehackter Aal, gekocht in Chinon-Rotwein mit Pilzen und Zwiebeln
frittierte Maifische
Kalbsschenkel mit Schweineschwarte, Zwiebeln und Karotten
Risotto mit schwarzen Trüffeln
Kartoffelkuchen
deftiger Eintopf mit Fleisch, Kohl und Gemüse
warmer, gestürzter Apfelkuchen, mit Vanilleeis oder Crème fraîche serviert
im Holzofen gedörrte Birnen und Äpfel, flach gedrückt und in Wein, Zuckersirup oder Alkohol eingelegt
Mandelkuchen mit Aprikosenmarmelade und kandierten Früchten
Himbeernusskuchen