Am Schwarzwald kleben jede Menge Klischees wie üppige Schwarzwälder Kirschtorte. In deren Schatten jedoch gedeihen Orte, die ihr Sahnehäubchen längst woanders gesetzt haben und eigene Wege gegangen sind. Zum Beispiel die Gemeinde Baiersbronn, die als Mountainbiker- und Gourmet-Himmel scheinbare Parallelwelten miteinander vereint – oder ihnen zu neuen Berührungspunkten verhilft.
Mountainbike-Mekka in Baden-Württemberg
Baden-Württemberg hat unter Mountainbikern nicht gerade den besten Ruf. Schuld daran ist die verrufene 2-Meter-Regel, die besagt, dass nur Wege von mindestens zwei Metern Breite von Bikern befahren werden dürfen. Ergo uninteressant für Liebhaber von Singletrails, die den Reiz der schmalen Pfade auskosten wollen. Doch eine Gemeinde (nach Stuttgart die flächenmäßig zweitgrößte des Bundeslands) leistete hartnäckigen Widerstand und zeigt, was man erreichen kann, wenn Sportbegeisterte, Naturschützer und Touristiker an einem Strang ziehen: Über 400 Kilometer an ausgesprochen waldigen Mountainbike-Strecken finden sich in und um Baiersbronn, die zum Teil auch durch den 2014 gegründeten Nationalpark Schwarzwald führen. Für Besucher wurden elf verschiedene Tourenvorschläge (zwischen 13 und 81 Kilometern sowie 250 und 1950 Höhenmetern) herausgearbeitet, für die 2017 der Radtourismus-Preis Baden-Württemberg verliehen wurde. Ein gut durchdachtes Beschilderungssystem auf knallgelben Tafeln macht die Mitnahme eines GPS-Tracks überflüssig – so lassen sich die flowigen Trails ohne große Ablenkung genießen. Und die verlangen volle Konzentration, wenn es nach einem entspannten Tannennadel-Bett wieder waldig-wurzelig und steil wird. Die meisten der ausgeschilderten Trails sind mit der Farbe Rot gekennzeichnet, entsprechen damit einem mittleren Schwierigkeitsgrad. Wer Spaß daran haben möchte, sollte also schon etwas Mountainbike-Erfahrung mitbringen (S1).
Die geringe Höhe der umliegenden Hügel lässt eine individuelle Etappeneinteilung zu: Gebe ich mir heute drei, vier oder fünf Trails? Neben der Kondition hat hier vielleicht der Gaumen ein Wörtchen mitzureden, denn Baiersbronn steht auch bei einer ganz anderen Fangemeinde hoch im Kurs: den Gourmets. Die Gemeinde kann mit der höchsten Michelin-Sterne-Dichte Deutschlands aufwarten und verführt mit den „Baiersbronner Schätzen“ – kulinarische Spezialitäten, die aus Baiersbronner Zutaten regional hergestellt werden. Wer bei der Traildichte – verständlich – keine Zeit zum „verhocken“ hat, besorgt sich den Baiersbronner Picknick-Rucksack, den die Wildpflanzenwirte mit lokalen Köstlichkeiten befüllt haben.
Baiersbronner Wanderhimmel
Gebiked wird übrigens im so genannten „Baiersbronner Wanderhimmel“ – dank eines gelebten Biker-Kodex herrscht freundliche Stimmung zwischen Radfahrern und Wanderern. Letztere erfreuen sich ebenfalls an den Singletrails, die für die Fußgeher nur nicht so heißen. 550 Weg-Kilometer sind ebenfalls hervorragend beschildert und mit Klassifizierungen versehen: Wie wär's mit einem Genießerpfad, der eine der Schlemmer-Hütten zum Ziel hat? Oder lieber einen der neun Erlebnispfade, die zum Beispiel auf den Spuren des Orkans Lothar (1999) wandeln oder der Geschichte der Flößer, Köhler und Waldgeister nachspüren? Neun Himmelswege versprechen landschaftliche Highlights, während die Mehrtageswanderungen „Seensteig“ und „Murgleiter“ von viel Wasser begleitet werden. Auch die Karseen, Relikte der letzten Eiszeit, und die „Grinden“, waldfreie Flächen am Gipfel eines Hügels, zählen zu den Besonderheiten der Region. Auf jeden Fall gibt es eine Menge Wald: 80 Prozent der Gemeindefläche ist baumbestanden.
Ein ganz besonderer Wander-Tipp ist der mehrstufige Sankenbach-Wasserfall hinter dem gleichnamigen See: Oberhalb des Hauptfalls kann mit einem Holzschieber das zulaufende Wasser aufgestaut – und auch manuell wieder abgelassen werden. Nicht nur Kinder erfreuen sich dann an dem herabschießenden Schwall, der sich über die folgenden 40 Meter ergießt.
Nordschwarzwald bei Regen
Da bei Nässe die wurzeligen Trails unangenehm rutschig werden und Dusch-Wandern auch keinen so richtigen Spaß macht, ist die große Frage: Was kann man bei Regen in der Region unternehmen? Ein Highlight ist der alternative Wolf- und Bärenpark bei Bad Rippoldsau-Schapbach. Der ist zwar auch im Freien, aber der Spaziergang vorbei an den Wolf-, Bären- und Luchsgehegen ist so kurzweilig, dass sich ein paar Tropfen getrost verkraften lassen. Anders als ein klassischer Zoo handelt es sich um eine Stiftung, die Tiere aus miserabler Haltung befreit und ihnen hier ein naturnahes Leben ermöglicht. Die Wölfe, die zusammen mit den Bären in einem Gehege leben und diesen nicht selten auf den Geist gehen, fungieren dabei als „Therapeuten“: Die Bären müssen ihr Futter regelmäßig verteidigen und finden damit ein Stück weit in ihre natürliche Bären-Rolle zurück.
Absolut trockene Empfehlung ist das Experimenta-Museum in Freudenstadt (einer der beiden Städte, die für sich den größten Marktplatz Deutschlands beanspruchen). Hier wird physikalischen Gesetzen durch spaßige Experimentierstationen auf den Grund gegangen und kindgerecht erklärt. Wer etwas weiter reist, kann in Baden-Baden mit dem Frieder-Burda-Museum eine sehenswerte Kunstsammlung besuchen, vor allem expressionistischer Natur.
Alle genannten Aktivitäten (und noch einige mehr – vom Gleitschirmflug bis hin zum Hochseilgarten) sind in der "Schwarzwald Plus"-Karte inklusive. Diese wird ab zwei Übernachtungen in teilnehmenden Hotels kostenlos ausgestellt. Und das Beste: Die Karte beinhaltet auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel im gesamten Schwarzwald – von Pforzheim bis Basel, von Karlsruhe bis Waldshut.
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von Solveig Michelsen
Diese Reisereportage wurde zum Teil unterstützt von Baiersbronn Touristik.