Von den deutschen Besatzungstruppen in den letzten Kriegswehen dem Erdboden gleich gemacht, kann Warschau schwerlich pittoresk sein, auch wenn die Altstadt originalgetreu wieder aufgebaut wurde. Vielmehr ist es: authentisch, aufstrebend, aufregend, anders. Warschau ist eine jener Städte, die man zum richtigen Zeitpunkt gesehen haben muss. Und der ist: jetzt.
1. Warschau aus der Vogelperspektive betrachten
Erst einmal einen Überblick verschaffen: Allumfassende Eindrücke von der abwechslungsreichen Skyline Warschaus erhascht man vom prägnantesten Gebäude der Hauptstadt – dem 237 Meter hohen Kultur- und Wissenschaftspalast. Dank des protzigen Stalin-Geschenks kann man auf der großzügigen Aussichtsplattform im 30. Stock nicht nur gucken, sondern auch seinen Kaffee in original sozialistisch-klassizistischer Atmosphäre zu sich nehmen. Und dann entscheiden: sich erst den Wolkenkratzern zuwenden, die Warschau etwas Kosmopolitisch-Großstädtisches verleihen, oder lieber den Blick über die ruhige Weichsel schweifen lassen, die von erstaunlich viel Grün gesäumt ist?
Wer keine Lust auf Wartezeiten vor dem Aufzug hat, kann auch mit einer Kirche vorlieb nehmen: Der Glockenturm der St.-Anna-Kirche lädt ebenfalls zu schönen Blicken auf die Stadt ein. Noch unkomplizierter (aber nicht ganz so hoch) ist der Dachgarten auf der Universitätsbibliothek. Originell angelegte Wege führen durch die grüne Stadtoase und geben der beeindruckenden Bibliothek einen schmucken Rahmen. In einem Café vor Ort lässt sich außerdem studentisches Lebensgefühl aufsaugen – Warschau komplett unverfälscht.
Für den wahrlich mondänen Blick über Warschaus Dächer begibt man sich zum RiverView Wellness Centre im 43. Stock des Intercontinental Hotels. Ein abendliches Schwimmen im Pool vis-à-vis des Kulturpalasts gehört zum Beeindruckendsten, was Polens Hauptstadt an Ausblicken zu bieten hat.
2. Kommunistischen Zeiten nachspüren
Klar, wer nach Warschau kommt, will es wissen, sehen und spüren: Wie war es damals? Das kleine, aber feine Museum Czar Prlbeantwortet (fast) alle Fragen. Liebevoll dekorierte Ausstellungsräume versetzen die Besucher in die Vergangenheit, kleine Anekdoten lassen die beklemmende, zum Teil auch unfreiwillig komische Atmosphäre erahnen. Wie zum Beispiel, wenn der Spion mit Abhörauftrag in der Leitung niesen musste, dafür aber wohlwollende gesundheitliche Ratschläge der Bespitzelten bekam, die ohnehin von seiner Existenz wussten. Nicht selten gaben sich die Telefonspitzel auch zu erkennen und stiegen ins abzuhörende Gespräch mit ein – so ein Job machte auf die Dauer schließlich nur wenigen Spaß. Die Betreiber des Museums bieten auch Nostalgie-Stadttouren mit den originalen Nysa-Bussen an (nur in englischer und polnischer Sprache).
Wer es geschafft hat, das etwas versteckt liegende Gebäude im Stadtteil Kamionek auszumachen, sollte noch einen Besuch in der gegenüber liegenden Soho Factory einplanen, wo sich zahlreiche Künstler, Ateliers und Café-Restaurants angesiedelt haben, aber auch das Neon Muzeum. Noch interessanter als die ausgestellten geretteten Leuchtreklamen der 1960er- und 70er-Jahre ist die Geschichte dahinter: Aus bis heute unerklärlichen Gründen entschied die kommunistische Regierung im Jahr 1955, in Sachen Neonreklame den großen Metropolen New York, London und Paris nachzueifern – eine völlig untypische Westorientierung. Allerdings wurden die Leuchtreklamen nicht als Mittel zum kommerziellen Zweck, sondern als rein künstlerisch-ästhetisches Produkt betrachtet. Ein umfangreiches Regelwerk und komplizierte Genehmigungsverfahren sorgten dafür, dass die Verwirklichung eines einzigen Schriftzugs mehrere Jahre in Anspruch nahm, sodass das Interesse daran schließlich erlahmte und zum Niedergang dieser Kunstform führte.
Der benachbarte Stadtteil Praga ist von der vernachlässigten Schmuddelecke zum Szeneviertel aufgestiegen und ebenfalls einen Besuch wert. An der Schwelle zur Gentrifizierung, bietet er jetzt noch authentische historische Eindrücke, gepaart mit originellen Kultur- und Nightlife-Angeboten.
3. Pierogen probieren
Nicht nur Liebe geht durch den Magen, man „schmeckt“ das Lebensgefühl einer Nation am besten durch lokaltypische Gerichte. Ganz oben auf dem Speiseplan stehen in Warschau die Piroggen (pierogi) – Teigtaschen, die mal pikant, mal süß gefüllt werden. Bekannteste Adresse hierfür sind die Zapiecek-Lokale, die über die ganze Stadt verteilt zu finden sind. Auch im Pierogarnia kann man sich die köstlichen Teigtaschen auf der Zunge zergehen lassen.
Der großstädtische Trend jedoch geht weg von den traditionellen Gerichten, hin zu einer leichten internationalen Küche. Zahlreiche Restaurants im Viertel südlich des Bahnhofs übertreffen einander in Sachen Design und hippe Küche. Etliche vegane Adressen machen Fleisch durch Kreativität wett, unter anderen das Tel Aviv, das koscher, vegan, gluten- und zuckerfrei kocht.
Das Nachtleben indes erinnert an Berlin und braucht internationale Vergleiche nicht zu scheuen. Unprätentiös schlicht bis originell durchgestylt – die Bars, Pubs und Clubs sind an sich schon eine Reise wert. Dicht gedrängt sind die Kneipen zum Beispiel in der Ulica Oleandrów oder der Nowy Swiat. Die Cyderia in der Ulica Poznanska offeriert Cider-Cocktails in angesagter Umgebung; alternativen Flair in Praga bietet die Kultkneipe W Oparach Absurdu – „In den Dämpfen des Absurden“.
4. Interaktive Museen testen
2016 wurde das POLIN zum europäischen Museum des Jahres gekürt. Im Museum über die Geschichte der polnischen Juden steht nicht der Holocaust im Mittelpunkt, sondern das Nachempfinden jüdischen Lebens, das Polen über die Jahrhunderte geprägt hat – vor dem Zweiten Weltkrieg war jeder dritte Warschauer Jude. An zahlreichen originellen Stationen kann eingetaucht werden in die Vergangenheit – ob als jüdischer Kaufmann, Münzpräger oder Rabbi. Auch für historisch Uninteressierte ein Muss, denn die Architektur sucht Ihresgleichen.
Nicht nur für Kinder anziehend ist das Kopernikus-Wissenschaftszentrum (Centrum Nauki Kopernik), das eine Unmenge wissenschaftlicher Experimente anbietet. Diese sind so ansprechend und überzeugend aufbereitet, dass man unschwer ein paar Tage darin verbringen könnte. Auch ein sehenswertes Planetarium ist angeschlossen. Da sich das Zentrum hoher Beliebtheit erfreut, sollten Eintrittskarten online vorbestellt werden. Oder noch besser: Man besorgt sich den Warschau-Pass (für 24, 48 oder 72 Stunden), der nicht nur zahlreiche Attraktionen beinhaltet, sondern gleichzeitig erlaubt, an den langen Warteschlangen vorbeizuspazieren.
Auch im Frédéric-Chopin-Museumsoll der Besucher Spaß am Mitmachen haben: Mit hohem multimedialen Aufwand wird dazu eingeladen, sich mit dem Leben und Wirken Frédéric Chopins vertraut zu machen. Wiederum gilt: Eintrittskarte vorab besorgen oder per Warschau-Pass besuchen.
5. Open-Air-Veranstaltungen genießen
Sobald es warm und sonnig wird, treibt es die Warschauer auf die Straße und in die Parks. Open-Air-Veranstaltungen gehören zu den Lieblingsbeschäftigungen der Städter, sodass in diesem Sektor auch eine Menge geboten wird. Zum Beispiel im Lazienki-Park, wo in den Sommermonaten sonntags Gratis-Klavierkonzerte zu hören sind. Alternativ lässt es sich dort mit Gondeln über den See schaukeln oder zahme Eichhörnchen füttern sowie freilaufende Pfaue bewundern.
Immer wieder erstaunt sind Besucher über die Sandstrände Warschaus an den Ufern der Weichsel. Besonders der vielgerühmte Poniatowka-Strand lässt Karibik-Feeling vor dem Stadion aufkommen. Im multimedialen Fontänenpark werden die Springbrunnen farbenfroh angeleuchtet; an Freitag- und Samstagabenden sogar mit Laserprojektionen auf den zerstäubten Wassertröpfchen und untermalender Musik.
Tipp: Mit der App Jakdojade für öffentliche Verkehrsverbindungen erleichtert man sich das Herumkommen erheblich.
Übernachtungstipp: Das schick durchgestylte H15 Boutique Hotel (5 Sterne) gehört zu den besten Polens und ist für die Verhältnisse noch äußerst erschwinglich (ab 98 €/Nacht).
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von Solveig Michelsen
Die Autorin wurde vom Warschauer Büro für Touristik zu diesem Aufenthalt eingeladen.