Die Heiligen im Inneren halten da locker mit. Manche wurden so etwas wie Popstars der Sakralität, der leidend dreinschauende, von der Außenwand an die Turmhalle des Nordturms versetzte „Zahnwehhergott“ etwa. Spöttern soll er rasende Zahnschmerzen beschert haben, so besagt es die Legende. Auf 1280 datierten Kunsthistoriker die elegante Marienstatuen-Erscheinung am ehemaligen Frauenchor, beim Südturm: die so genannte „Dienstbotenmuttergottes“, vor der ein zu Unrecht des Diebstahls bezichtigtes Dienstmädchen solange ausharrte, bis sich der Verdacht zerstreute. Der grazile Wurf des Marienschleiers und die höfische Eleganz der schönen Madonna bezaubern hier. Auch die zweite außergewöhnliche Marienstatue punktet übrigens mit Textil. Es ist der weit geöffnete Umhang der „Schutzmantelmadonna“, unter den sich die verschiedenen Stände flüchten. Maria als Schirmherrin aller Innungen, und ein Mantel, der sich trägt wie ein exklusiver Club.
Spätestens hier fällt der Blick auf das Personal. Powered by Herzog Rudolph IV. sind die gotischen Zubauten, nicht zuletzt der liebevoll Stefffl genannte Südturm. Das Standbild mit authentischen Gesichtszügen, das sich der Stifter damit verdient hatte, findet sich unmittelbar hinter dem Eingang – wie ein Spielzeug hält er ein Modell „seiner“ Kirche in der Hand. Verewigt haben sich auch die Architekten selbst. Mit gepresster Miene schultert der Dombaumeister Pilgram 1513 den Orgelfuß – stellvertretend für die Last seines Jobs. Dann der populäre „Fenstergucker“ an der Wiener Domkanzel, es ist der anonym gebliebene Erbauer derselben, und rund um die Kanzel die vier Heiligen Ambrosius, Hieronymus, Gregor, Augustinus. Ihre Züge bilden die vier griechischen Temperamente von Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker ab – Insiderwissen auch das.
Was man nicht sieht, spürt man: die aufgeladene Mystik des Domes mit seinen zahlreichen Säulenheiligen, Nebenaltaren und angebauten Kapellchen. Aber auch die reiche Zahlensymbolik. Zwölf Nebentürmchen umkreisen die Spitze des Steffls wie einst die Apostel Jesus umringten. Und was man innen nicht sieht, sieht man besonders gut von oben. Die Pummerin etwa, die größte Kirchenglocke Österreichs. Die gotischen Steinblumen, die von den Türmen vorspringen, und die die Wiener einst „Krabben“ tauften. Und natürlich das Dach, komponiert aus 230 000 glasierten Ziegeln. Dass man 1831 den Doppeladler draufsetzte und 1950, im Jahr des Wiederaufbaus, den Bundesadler – Teil der Geschichte eines Staats. Dass die Eindeckung des katholischen Prestigebaus aber ausgerechnet einem orientalischen Sarazenenteppich nachempfunden wurde: Noch heute staunen wir über soviel ästhetischen Mut!
Weitere spannende Reportagen:
Nightlife in Wien: Bässe unter Bögen
Wiener Prater: Autonom im Autodrom
Wiens berühmter Dom: Steffl revisited