Nein, einfach zu verstehen ist Liam mit seinem Glasgower Dialekt wirklich nicht. Aber man kann sich zusammenreimen, was der junge Mann, der an der Universität seiner Heimatstadt Veterinärmedizin studiert, gesagt hat: „An Edinburgh liebe ich am meisten – den Zug nach Glasgow.“ Cheers! Hoch geht das Pint mit dunklem Ale, das Grinsen ist ein bisschen schief, immerhin war der Gag nicht gerade der neueste. Aber er beschreibt perfekt das Verhältnis der beiden Nachbarstädte, zwischen denen besagter Zug gerade einmal eine Stunde unterwegs ist: Man hat Respekt voreinander – und ist froh, wenn man wieder zu Hause ist.
Glasgow: die große Schwester mit dem schmutzigen Gesicht, die sich in den letzten 15 Jahren von ihrer wild bewegten Vergangenheit gelöst und mittlerweile jede Menge Make-up aufgelegt hat. Edinburgh: die kleinere, die solide, die von vielen als die hübschere empfunden wird, wegen ihres adligen Flairs und der majestätischen Atmosphäre, die sie umgibt. Dem Besucher können lokalpatriotische Anwandlungen wie die von Liam aber völlig egal sein: Ob kreative (Über)lebenskünstlerin oder glanzvolle Diva – ein Doppelbesuch und das Ticket für die Bahnfahrt zwischen beiden Städten lohnen allemal.
Start in Edinburgh, schließlich ist sie – soviel Respekt muss sein – die Hauptstadt. Eine, die weiß, wie sie sich in Szene zu setzen hat: Am viel besungenen Lothian Sky, dem weiten Himmel über High- und Lowlands, herrscht hohes Wolkenverkehrsaufkommen, Watteberg um Watteberg schiebt sich an der Sonne vorbei, mit dramatischen Effekten. Mal verwandelt ein heller Strahl das mächtige Edinburgh Castle auf seinem vulkanischen Felspodest in das Idealbild einer Burg, dann wieder reißt das Licht die Altstadt effektvoll aus ihrem mittelalterlichen Düsterschlaf. Die New Town gegenüber, auch schon wieder über 200 Jahre alt, strahlt ganz von allein hell georgianisch, die Sonne hilft ihr nur beim Leuchten.
Ein Tag, wie geschaffen, um dem Herzschlag nachzuspüren, der die Metropole am Leben hält. Gleich zweimal pulst es gewaltig, jeweils mit höchst aristokratischen Weihen: Die Royal Mile entrollt sich wie ein roter Teppich quer durch Old Town vom Burgtor bis zum Palace of Holyroodhouse, dem Palast, in dem die Queen jedes Jahr ein paar Sommertage verbringt. Princes Street ist der Boulevard der New Town, auf der einen Seite geht’s in der Häuserzeile georgianisch ausladend zu, auf der anderen Seite entspannt botanisch in den Princes Street Gardens, und drüber thront großväterlich das Castle.
Hört sich alles ziemlich gediegen an – und ist es auch. Zumindest in den Gassen und Gässchen rund um die Royal Mile, wo auch heute noch Jekyll-und-Hyde-Atmosphäre herrscht und sich des nächtens die Touristen bei geführten Geistertouren ins Mittelalter zurückgruseln. Tagsüber aber, wenn sich die Sonne die Ehre gibt, dann geht’s fast mediterran entspannt zu in den Cafés auf dem königlichen Bummelboulevard. Denn Edinburgh ist beileibe keine behäbige alte Dame. Unter Clubgängern gilt die Stadt am Firth of Forth als Geheimtipp, The Liquid Room oder die Opal Lounge brauchen sich vor anderen Szeneadressen nicht zu verstecken. Festivals – ob Musik, Literatur, Film oder Folklore – finden praktisch im Wochentakt statt. Und auch in Sachen Shopping bleiben keine Wünsch unerfüllt: vom historischen Luxuskaufhaus Jenners in der Princes Street bis zum bunten Shop-Mix der Old Town, wo Howie Nicholsby Kilts herstellt – aus Leder, PVC oder knöchellang. Auf jeden Fall: für das 21. Jh..
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