Seidenpanzer und Filzfühler
Also lassen sie ihre großen Schwestern geduldig die Schminke nachziehen, und Großmütter an den Krägen nesteln. Wie Marionetten ohne Fäden ziehen die Kinder vorbei: Dämonen, Helden, Feen, die mit den Zehenspitzen auf einem Papierfächer, einer Teetasse, ja auf der Spitze eines Schwertes zu stehen scheinen. Ein Feuerwehrmann und eine freche Badenixe bringen moderne Akzente in den traditionellen Umzug durch die Gassen des kleinen Inselorts. Ganz zuletzt wird ein Knirps mit schwarzen Filzecken um den Kopf vorbeigetragen – modische „Fühler“ wie sie Chinas Hofschranzen einst trugen. Wie ein verirrte Maikäfer fliegt der Kleine durch die laue Luft.
Eine Insel für Verliebte
Der Mai ist der Monat, in dem die Parade der „schwebenden Kinder“ den Höhepunkt des Bun Festivals einleitet und seit mittlerweile drei Jahrhunderten Gäste aus allen Teilen der Welt überrascht. Geschickt verbergen Kostüme und lange Kleider, dass die Kinder auf knappen Sitzen getragen werden. Die Illusion, sie würden auf Zehenspitzen balancieren, ist perfekt. Der Rest der Insel allerdings ist keine Illusion, weshalb sie ein perfekter Fluchtpunkt aus der hektischen, 10 Fährenkilometer entfernt liegenden Megacity ist, auch ohne schwebende Kinder und Bun Festival. Kneipen, Cafés, jede Menge Seafood-Restaurants laden nicht nur die verliebten Hongkonger Pärchen, die auf dem winzigen, autofreien Eiland turtelnde Zweisamkeit suchen, zum Sich-Hinüberträumen in eine andere Welt ein. Hier geht es entspannter zu – sieht man von den Zimmervermietern am Fähranleger ab, die sich auf alle Neuankömmlinge stürzen. Das dörfliche China, das China der Fischer und Händler, scheint wie eh und je zwischen Praya, der quirligen Uferpromenade, und Pak Tai Tempel zu existieren. Das Bun Festival allerdings ist eine Zeit hektischer Betriebsamkeit.