Dubais Straßen sind stets für eine unerwartete Begegnung gut. Auch wenn man den Sheik Zayed Highway dazu an besonders öden Stellen verlassen muss. Der Exit 43 am Interchange No. 3 ist so ein Fall. Al Quoz heißt die Ecke, staubige Flächen gehen in Lagerhallen über, Betonrohre warten auf den nächsten Kran. Hinter gezackten Dächern ist die startbereite Architekturrakete des Burj Dubai, des höchsten Hauses der Welt zu sehen. Aber das gilt auch für andere Teile der boomenden Stadt, in der unverbautes Gelände und leere Industrieviertel längst selten geworden sind.
Doch dann, etwas völlig Unerwartetes: Im grellen Orange leuchten einige Panton Chairs am Straßenrand. Stylishe Designklassiker aus den 1970ern, auf denen zwei Typen in schneeweißen Burnus-Kleidern abhängen. Wie Designfreaks sehen die traditionell gekleideten Shabib-Zwillinge nicht unbedingt aus. Doch Dubai ist eine Stadt für den zweiten Blick, in der manches anders ist, als es zunächst scheint, und das gilt auch für Al Quoz: Die Herren auf den Panton Chairs sind promovierte Ökonomen und Verleger, die soeben ihr jüngstes Kind aus der Taufe heben: „Shelter“ – ein Mittelding aus Galerie, Bibliothek und Arbeitsplatz für Kreativberufe, die hier Ausstellungsfläche, Büro und Kommunikations-Drehscheibe in einem finden.
Für Al Quoz sind solche Bilder ganz normal. Schließlich verströmt das bislang „übersehene“ Stadtviertel genau jene Dosis Grassroot-Charme, die viele Städte oft erst richtig spannend macht. Nicht zuletzt wegen der rauen Location gilt der „Industrial District“ als Dubais Antwort auf Londons Hackney, Mailands Zona Tortona oder Hamburgs Speicherstadt: ein Stück vorstädtischer Industrieszenerie, in dessen Lagerhallen sich nun Galerien, trendige Werbebüros, Designstudios – kurz: das junge kreative Potenzial des Golf-Turbos Dubai – niedergelassen haben.
Spätestens, seit durch die Kunstmesse „Art Dubai“ die Stadt ins Zentrum der internationalen Kunstwelt vorgerückt ist, führt kein Weg an den Al Quoz-Lagerhallen vorbei. Das wissen auch die Chauffeure der Luxusschlitten, die nun vor angesagten Galerien wie „The Third Line“ parken. Dort entschuldigt sich im Idealfall Fräulein Tarane, Assistentin der wieder mal verreisten Galeristen, für die Unordnung ihrer Frisur. Wohl wissend, dass dafür alles andere im Inneren der grau lackierten Halle ganz und gar in Ordnung ist.
Besonders die sorgfältige Zusammenstellung der aktuellen Schau: Sie ist jungen emiratischen Künstlern gewidmet, die mit ihren Arbeiten auf die spannende Realität des Dubai von heute reagieren. Mit diesen und ähnlichen Werken schaffte es die Galerie binnen weniger Jahre Al Qouz zu einem überregionalen Hotspot der internationalen Kunstwelt zu machen. In Wahrheit steht das Viertel aber für mehr: Es ist das erste Stück Dubai, das vom Glamourgetriebe runtergeschaltet und den Rückwärtsgang eingelegt hat. Allerdings Richtung Avantgarde.