Billiger als ein Zimmer im Himmel ist allemal ein Drink in der Bar, die ihren Besuchern den rechten Shanghai-Kick versetzen soll: „Cloud 9“ heißt sie, und belegt die 87. Etage, die oberste des Hotels. Eine edle Adresse, und so darf gerätselt werden, was man anziehen soll. Ob Krawattenzwang herrscht? Ich entscheide mich für „smart casual, mit den Edeljeans eines Shanghaier Nachwuchsdesigners und einem Seidenschlips aus einer Kollektion, die, wie der Verkäufer versicherte, nach einem New Yorker Entwurf am Ort gefertigt wird.
Nun aber hinein in den Hotellift! Der hält nur auf den Etagen 1, 2 und 54, dann heißt es: umsteigen. An der Rezeption des Grand Hyatt vorbei – hier beginnt ein gigantisches, 33 Stock hohes Atrium – geht es zum Anschlussfahrstuhl, für die letzten zwei Stockwerke muss man noch einmal umsteigen.
Beim Schritt aus der Kabine in die Bar brechen zwei ältere Amerikaner in Begeisterung aus. In der Tat: Der Ausblick ist atemberaubend; vor allem jetzt, wo sich die Dämmerung über die Stadt senkt und die Neonlichter aufflammen, kommt man sich vor wie in einem Science-fiction-Roman. Der Blick von den Tischen auf der oberen Ebene, die – etwas zurückversetzt gegenüber der unteren – ein ebensolches Panorama bietet wie die Fensterplätze der Lounge 2 m tiefer, geht zur Innenstadt und zur bereits im Dunst versunkenen Abendsonne.
Als mein Glas Wein serviert wird – die Preise sind übrigens ziviler als erwartet – flezt sich schräg unten ein fitnessstudiogestählter junger Chinese in den Sessel. Er trägt ein weißes T-Shirt und kurze Hosen. Ich merke: Auf „Wolke 9“ ist Coolness angesagt. Nächstes Mal komme ich ohne Schlips.
Text: Jens-Uwe Kumpch
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