Früh am Tag und außerhalb der Hauptreisezeit hat sich erst eine Hand voll Besucher eingefunden. Würdig, still und sauber liegen die Höfe und Hallen da. Der Anblick des ersten Mönchs versetzt sogleich in die Vergangenheit, ist er doch vom Scheitel bis zur Sohle gewandet wie vor hunderten von Jahren: schwarze Stoffschuhe, Wadenwickel, eine dunkelblaue, wattierte Winterrobe und eine schwarze, zylindrische Kappe, aus der oben der Haarknoten herausschaut, denn taoistische Mönche lassen wie die Sikhs ihr Haupthaar ungeschoren.
Nun führt der Weg entlang der Hauptachse der symmetrischen Anlage über ein buckliges Marmorbrückchen, das freilich nichts weiter quert als ein trockenes, leeres, gemauertes Becken. Links stehen an seinem Rand zwei Besucher, daneben sitzt ein Mönch. Auf einmal schwirrt etwas durch die Luft, ein heller Glockenton erklingt, und die Männer strahlen und klatschen in die Hände. Als sie weiterziehen, erstehe auch ich von dem Mönch – wohl ein Novize – fünf Münzen und versuche mein Glück. Ich werfe auf die große Kupferscheibe, in deren Mitte das Messingglöckchen hängt, das ich soeben hörte. Aber leider ist dies nicht mein Tag. Alle Würfe gehen daneben, und das Glöckchen bleibt stumm. Wenigstens habe ich die Klosterkasse ein wenig füllen geholfen.
Nachdem ich den reichen Figurenschmuck in den Hallen bewundert, der Klosterliturgie gelauscht und das Ambiente dieses 800 Jahre alten Heiligtums genossen habe, kann ich schließlich doch noch etwas tun zur Förderung meines zukünftigen Glücks. In der Halle der Jahresgötter nämlich sitzen auf halbhohen Mauern alle Schutzpatrone des Sechzig-Jahre-Zyklus. Hier ist auch am meisten los, nicht nur ältere Menschen sind gekommen. Ich folge ihrem Beispiel und suche den Gott meines Geburtsjahres auf, gönne ihm ein paar Weihrauchstäbchen. Ob’s hilft? Der Klosterbesuch jedenfalls war eine echte Zeitreise, auch wenn ich bis zum Wolkenflug noch hart üben müsste.
Text: Hans Wilm Schütte
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