Wellness & Kultur in Bulgarien: Goten, Götter und Gesundheit

In Bulgariens Böden werden Archäologen noch immer fündig, die Geschichte mancher Städte reicht 8000 Jahre in die Vergangenheit. Und während Unesco-Weltkulturerbe-Klöster den Himmel beschwören, probt eine uralte Thermenkultur neue Wellnessmoden hier auf Erden.

Ein wenig trocken sehen die Becken schon aus. Aber allzu viel Fantasie braucht es nicht: Dann werden die staubigen Steine mit heißem Wasser und Dampf benetzt – zumindest für einen kurzen, fiktiven Moment. Einst gehörten nämlich die römischen Thermen, von denen hier die Rede ist, zur antiken Stadt Odessos. Heute stellen die Bogenkanäle, die sich über eine Fläche von 7500 m2 erstrecken, einen Fixpunkt beim Besuch der Schwarzmeer-Metropole Varna dar.

Antiker Tourismusrenner

Doch Bulgariens Thermentradition reicht noch viel weiter zurück. Sie datiert bis in die Ära der Thraker, die ab dem 5. Jh. v. Chr. den Reichtum der bulgarischen Thermalquellen für sich entdeckt und systematisch erschlossen hatten. Zur Zeit des Römischen Reichs waren die „heiligen“ Quellen von Thrakien längst ein antiker Tourismusrenner, und weit über die Grenzen hinaus bekannt.


Spa- und Wellnessparadies Bulgarien

Das hat sich heute ein wenig geändert, auch wenn die 800 heilenden Mineralwasserquellen des Landes noch immer recht munter vor sich hin sprudeln. Bulgarien, ein Spa- und Wellnessparadies? Aber klar doch! In Bankya, Kyustendil, Sapareva Banya, Velingrad, Devin, Dobrinishte, Bansko und an anderen Orten wurden in den letzten Jahren neue Bad-, Spa- und Wellnesskomplexe gebaut. Weitere Anlagen beleben die Schwarzmeer-Kurorte: Albena, Goldstrand, Sveti Konstantin oder Elena.

 

Jede Menge Gesundheit

Die Anwendungen, die hier angeboten werden, sind zahlreich: Mineralbäder, Thalasso- und Aromatherapie, Algotherapie – die Behandlungen mit Meeresalgen –, Lauge-, Schlamm- und Sandbehandlung, klassische und orientalische Massagen, Therapien mit Honig, Wein, Schokolade. Dass sich einige der heißesten Mineralwasserquellen Europas in Bulgarien befinden, rundet die aktuelle Wellnessoffensive ab: Der Mineralwassergeysir in Sapareva Banya bringt es auf eine Temperatur von 101,4 Grad Celsius.

Orpheus, und was seither geschah

Aber auch wer Bulgarien im Rahmen einer Spa-Reise kennenlernt, kommt um eine Erkenntnis kaum herum: Die kulturellen Wurzeln des südlichen Balkanlandes reichen tief, mitunter verschwimmen sie gar im Nebel der Mythologie. Die Heimat des mythischen Sängers Orpheus und des immerhin historischen Spartacus zählen zu diesem Erbe. Vor allem aber: mehr als 40 000 registrierte Kulturdenkmäler aus verschiedenen historischen Epochen, gut 160 orthodoxe Klöster, 330 Museen und Galerien sowie 38 Kulturreservate. Insgesamt neun historische Denkmäler wurden dabei zum Unesco-Weltkulturerbe geadelt, darunter das inmitten dichter Buchenwälder gelegene Nationalheiligtum: das Rila-Kloster mit seiner außergewöhnlichen Architektur samt fantastischer Fresken, die von Todsünden und diabolischen Fledermäusen erzählen.

Im Tal der thrakischen Könige

Keine Frage, die landschaftlich reizvolle Anfahrt zum Rila-Kloster ist ein purer Genuss. Doch egal, wo in Bulgarien man sich gerade befindet, besonders weit sind die kulturellen Schätze in der Regel nicht entfernt, und noch immer kommen neue dazu. Im Sommer des Jahres 2004 etwa gelang ein besonders großer Wurf: Archäologen, die das Tal der thrakischen Könige in der Nähe von Kazanlak schon seit Jahren untersuchten, entdeckten eine einzigartige Maske aus 23-karätigem Gold. Bisher wurden zwölf Grabmäler in der Region entdeckt – ein riesiger archäologischer Komplex von außerordentlichem historischem Wert.

Wo Götter herrschten

In eine ähnliche Kerbe schlägt das größte megalithische Ensemble auf der Balkaninsel: Perperikon, ein bereits vom legendären griechischen Historiker Herodot beschriebenes Heiligtum des altertümlichen Gottes Dionysius. Die Steinstadt liegt auf einem Hügel, etwa 20 km von Kurdjali, und reicht geschichtlich bis in die Bronzezeit zurück. Als die Römer Thrakien verwalteten, lag der über 3000 Jahre alte Ort längst in Ruinen.

 

Auf Nebenstraßen ins Museumsdorf

Auch Relikte jüngeren Datums halten Kulturinteressierte in Bulgarien auf Trab. Mitunter sind sie nur über Nebenstrecken zu erreichen, deren Schlaglöcher den freilichtmusealen Charakter der zentralbulgarischen Heritage-Städtchen schon während der Anreise vorwegnehmen. Bojenci, Tryavna oder Etara heißen diese denkmalgeschützten Dörfer rund um den Ort Gabrovo, die man auch als Gucklöcher auf eine sensible Periode der bulgarischen Geschichte sehen kann.

Im Herzland

Denn für viele Bulgaren verbindet sich mit den Steinbrückchen, kopfsteingepflasterten Gassen und aufwendig bemalten Erkern weit mehr als bloß folkloristisch verbrämte Romantik. Darauf verweist bereits der spröde Terminus „Architektur der Nationalen Wiedergeburt" ebenso wie zahlreiche Museen, die hier „nationalen Märtyrern“ gewidmet sind. Auch wenn Bulgarien nie eine ausgesprochene Mitte besessen hat und sich das Land aus parallel verlaufenden Gebirgszügen „aufschichtet“ – das Mittelgebirge der Sredna Gora gilt nicht von ungefähr als Herzland des bulgarischen Nationalstaates.

 

Plovdivs alter Boden

Auch Plovdiv, für viele bloß ein Stopover auf dem Weg zu den schönen Stränden des Schwarzen Meers, fällt in diese Kategorie. Manche sehen in ihr die schönste Stadt Bulgariens, mit einem römischen Amphitheater und imposanten Herrenhäusern in einer intakten Altstadt. Weit auskragende Obergeschosse mit großen Dachtraufen, kunstvolle Holzschnitzereien, dekorativ bemalte Wände und lauschige Innenhoflauben mit elegantem Gartenmobiliar zeugen in Plovdivs Haus-Museen vom besonderen Baustil der hölzernen Händlerpaläste.

8000 Jahre Siedlungsgeschichte

Dass es sich dabei um eine der ältesten Städte Europas handelt, ahnt man zunächst kaum. Und doch: Als die Römer dem Zentrum des bulgarischen Thrakiens ein Amphitheater bescherten – es zählt zu den besterhaltenen des Balkans und erlitt seine ersten Schäden erst nach einem Erdrutsch 1972 –, war Plovdiv schon uralt. Mehr als 8000 Jahre Siedlungsgeschichte kann sie voweisen, die ältesten sichtbaren Spuren der Thraker finden sich auf dem heutigen Altstadthügel Nebet Tepe. Das können nur wenige europäische Städte vorweisen.

Faszinierender urbaner Mix

Philipp von Mazedonien, der Vater Alexanders des Großen, taufte die Stadt 342 v. Chr. auf Philippopolis und machte sie zu einer Drehscheibe der antiken Welt. Dann kamen Goten, Hunnen, Byzantiner, Kreuzritter: das ganze historische Programm. Geblieben ist ein urbaner Mix, komponiert aus Minaretten und mittelalterlichen Fresken, aus Römermarmor und Jugendstilfassaden der Neustadt – in allen Stadien des Verfalls zu bewundern, aber auch im Stadium der nun einsetzenden Restaurierung.

Text: Robert Haidinger