Matthew, der seit fünf Jahren in Alaska lebt und die Wander- und Klettergebiete wie die Taschen seiner Outdoorjacke kennt, gibt Basisinformationen: „Wichtig ist, dass ihr mit den Füssen immer gerade auf den Boden stapft und nicht versucht abzurollen, damit die Crampons Halt finden“ – und schon demonstriert er den Entengang, mit dem man am Gletscher aufwärts steigt. Kniffliger noch ist der Spaziergang über das Eis, wenn es bergab geht. Für diesen Fall empfiehlt Matthew den Cowboygang: Knie nach vorne und Gewicht nach hinten. Ein paar Versuche, zuerst langsam und mit leicht zittrigen Knien – doch dann schnell etwas forscher.
Etwa eineinhalb Stunden dauert die Gletschertour, bei der Mathew seinen Durst mit frischem Gletscherwasser stillt. Auf dem Rückweg wird Halt an der Kennecott Copper Mill gemacht, eine Kupfermühle, die zur der ehemals größten und ertragsreichsten Kupfermine der Welt gehörte. Heute ist sie nur noch eine Geistermühle, aber die Führung durch die Anlage lässt die Vergangenheit aufleben: die Knochenarbeit im untersten Stockwerk, wo die Männer 150 Pfund schwere Säcke wegschleppen mussten. Oder die Tatsache, dass es in der gesamten Kupfermühle, die von insgesamt fünf Minen versorgt wurde, nur eine einzige Toilette für die Arbeiter gab. „Im Durchschnitt passierte ein tödlicher Arbeitsunfall im Monat“, erzählt Führerin Winsie, „das galt damals als sehr, sehr fortschrittlich.“
Als die Kupfervorräte Ende der 1930er-Jahre zur Neige gingen, wurde die Mühle geschlossen. Innerhalb kürzester Zeit wurden der Nachbarort Kennicott und das nahe gelegen McCarthy zu Geisterstädten – und wären es wohl auch geblieben, wenn sie nicht der Öko- und Abenteuertourismus zu einer kleinen Renaissance geführt hätten. Ein Ziel für den Massentourismus freilich ist der Wrangell-St. Elias Nationalpark noch lange nicht. Aber genau das macht seinen besonderen Reiz aus.
Text: Rainer Heubeck
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